Das sichere Bohren in die Tiefe ist generell mit vielen technischen Unwägbarkeiten verbunden. Das macht es schwierig, die Zeit­ und Kostenpläne einzuhalten, die zu Beginn eines Projekts für die Wirtschaftlichkeitsanalyse erstellt werden. Daher haben Ingenieurinnen und Ingenieure ein modulares Softwaresystem entwickelt, das alle Aspekte des Bohrprozesses automatisch überwacht und während des Bohrens optimiert. Das betrifft die Bohrlochhydraulik und Bohrlochreinigung, die statische und dynamische Belastung der Bohrgarnitur und des Bohrstrangs sowie die Bohrungsplatzierung. Diese Automatisierung soll die Bohrlochkonstruktion sowohl in Bezug auf sicherheitstechnische als auch zeitliche Aspekte optimieren.

Gesamten Bohrprozess überwachen

Aktuell wird der Bohrprozess typischerweise von mehreren, jeweils auf einen Teilaspekt spezialisierten Ingenieurinnen oder Ingenieuren anhand einer Vielzahl von Messwerten permanent beobachtet, mit einem Bohrungsplan verglichen und optimiert. Beispielsweise kontrollieren sie die Stabilität des Bohrlochs und den Bohrkleinaustrag, also das, was an durchbohrtem Gestein als zerriebener Stein oder Gesteinssplitter an die Oberfläche gefördert wird. Auch überwachen sie die statischen Belastungen des Bohrstrangs und der Bohrgarnitur. Zudem haben sie die Vibrationen im Blick, die nicht nur die Lebensdauer der Bohrwerkzeuge negativ beeinflussen sondern auch exakte Untertagemessungen erschweren und den Bohrfortschritt verlangsamen können.

Das neu entwickelte automatisierte Prozessüberwachungssystem erkennt Abweichungen vom Plan und unvorhergesehene Ereignisse zuverlässig. So lässt sich der Bohrprozess kontinuierlich an die Messwerte anpassen und teilweise sogar an daraus abgeleitete Voraussagen über den Bohrprozess anpassen. Dadurch können die Ingenieurinnen und Ingenieure den Bohrprozess komplett überblicken, die Sicherheit der Abläufe im Auge behalten und proaktiv steuern, statt sich mit der Interpretation einzelner Messwerte zu befassen.

Neue Softwaremodule überwachen den Bohrprozess

Aufbauend auf den Ergebnissen des Forschungsvorhabens AUTIG hat das Projektteam innerhalb von AUTIG_BPEO, kurz für „Automatisierte Bohrtechnik für tiefe Geothermie - Bohrungsplanung und Echtzeitoptimierung“, einzelne Software-Module entwickelt. Diese können den Bohrprozess automatisch überwachen und teilweise auch steuern. Die Module folgen der im Projekt AUTIG entwickelten Systemarchitektur und kommunizieren ausschließlich mit dem Aggregationsserver als zentraler Datenhaltung. Jedes Modul repräsentiert einen Aspekt des Bohrprozesses, wie die Steuerung der Richtbohrwerkzeuge, die Überwachung der Bohrlochhydraulik, die statische und dynamische Belastung des Bohrstrangs und das Vibrationsmanagement. Ebenfalls werden parallel stattfindende Prozesse ganzheitlich betrachtet und optimiert.

Bei der Planung einer Bohrung verwenden die Ingenieurinnen und Ingenieure rechenintensive mathematische Methoden, um den Bohrprozess zu simulieren. Dieselben Methoden nutzt die Automatisierungssoftware nun in abgewandelter Form auch um den Bohrprozess in Echtzeit zu überwachen. Daraus ergeben sich sogenannte digitale Zwillinge oder Algorithmen, die genutzt werden, um einzelne Aspekte des Bohrprozesses vorherzusagen. Diese repräsentieren ein reales Objekt in der digitalen Welt. Über Sensoren sind beide Welten gekoppelt. Echtzeitmesswerte werden dazu genutzt, die Zwillinge permanent an den realen Prozess anzupassen. Im Projektverlauf wurden die Funktionen der einzelnen Methoden der Bohrungsplanung erweitert und für die Echtzeitberechnung optimiert. Damit ergibt sich die Möglichkeit, jederzeit detaillierte Aussagen über die Eigenschaften des Prozesses entlang des Bohrlochs zu machen. Dabei sind lediglich Messwerte von Sensoren am Ende des Bohrstrangs sowie von der übertägigen Bohranlage verfügbar. Damit sind auch vorausschauende Aussagen möglich.

Das Schema zeigt das entwickelte Systemkonzept. Ein Softwaremodul steuert und regelt einen bestimmten Aspekt der Bohrung.
© Baker Hughes Company

Das Schema zeigt das entwickelte Systemkonzept. Ein Softwaremodul steuert und regelt einen bestimmten Aspekt der Bohrung.

Horizontale Bohrungen für geothermische Wärmetauscher

Die Vorhersage der zu erwartenden Position der Bohrgarnitur erlaubt es, dem Bohrungsplan zu folgen, indem das Richtbohrwerkzeug proaktiv gesteuert wird.  Dies ist beispielsweise für geothermische Wärmetauscher wichtig, bei denen zwei exakt parallele horizontale Bohrungen erstellt werden. Diese sind durch Risse im Gestein miteinander verbunden. Lassen sich die Richtbohrwerkzeuge automatisch steuern, ist eine effiziente und exakte Bohrung möglich. Zusätzlich haben die Ingenieurinnen und Ingenieure die Verfahren verbessert, um die Bohrlochrichtung und Lage des Bohrwerkzeugs zu bestimmen. Das sich ergebende Gesamtsystem  aus genauer Richtungsmessung und -steuerung kann den Bohrverlauf exakt bestimmen, vorhersagen und den Weg der Bohrung nach Bedarf anpassen.

Die Grafik erläutert die automatisierte Richtungssteuerung: ein neues Verfahren erfasst und steuert die genaue Richtung der Bohrwerkzeuge.
© Baker Hughes Company

Automatisierte Richtungssteuerung: ein neues Verfahren erfasst und steuert die genaue Richtung der Bohrwerkzeuge.

Erste Tests verliefen erfolgreich

Auf einer Testanlage von Baker Hughes konnte das Projektteam bereits erste Bohrungen erfolgreich durchführen. Die Ergebnisse haben bestätigt, dass die neuen Software-Module die Bohrungsrichtung zuverlässig steuern, den Prozess überwachen und im Fall von Ereignissen Alarm geben. So brauchte der Richtbohrmeister, den Bohrprozess nur zu überwachen.

Kommerziell einsetzbare Software steht in den Startlöchern

Die im Projekt AUTIG_BPEO entwickelten Prototypen der Software-Module können für Tests bei Geothermie Bohrungen eingesetzt werden. Aktuell sind bereits erste Versionen eines kommerziell einsetzbaren Softwaresystems verfügbar, das alle Module beinhaltet.

Darüber hinaus forscht das Projektteam weiter an neuen Algorithmen, um den Funktionsumfang der kommerziellen Software kontinuierlich zu erweitern und ihre Leistungsfähigkeit zu verbessern.

 

Letzte Aktualisierung: 11.01.2021

Auf einen Blick

Kurztitel: AUTIG_BPEO
Förderkennzeichen: 0324015
Themen: Erschließung der geothermischen Quelle, Anlagentechnik und Betrieb
Projektkoordination: Baker Hughes INTEQ GmbH
Laufzeit gesamt: Februar 2016 bis Dezember 2019

Projektsteckbrief als PDF downloaden

Quintessenz

  • Ein neues modulares Software-System überwacht automatisch alle Aspekte der geothermischen Bohrung und kann operative Parameter kontinuierlich entsprechend den aktuellen Messwerten optimieren.
  • Dadurch können Ingenieurinnen und Ingenieure den Bohrprozess insgesamt besser überblicken und steuern.
  • Jedes Software-Modul überwacht bestimmte Schritte des Bohrprozesses. Beispielsweise lassen sich die Richtbohrwerkzeuge automatisch steuern und ermöglichen so eine effiziente und exakte Bohrungsplatzierung.
  • Erste Software-Module sind bereits kommerziell verfügbar.

Kontakt

Baker Hughes INTEQ GmbH
Baker-Hughes-Str. 1
29221 Celle

+49(0)5141-203-0

www.bakerhughes.com

Digitaler Zwilling

Dabei handelt es sich um die Kernkomponente einer selbstlernenden Fabrik. Diese vielversprechende Technologie bildet eine Brücke zwischen physischer und digitaler Welt. Digitale Zwillinge repräsentieren etwa virtuelle Gegenstücke physischer Anlagen, Materialien und Produkten. Sie können in Echtzeit exakten Daten und Aktionen ihrer analogen Zwillinge speichern, verarbeiten und Prozesse optimieren. Zum Beispiel der digitale Zwilling einer Solarzelle: dieser analysiert die Zellen während der verschiedenen Prozessschritte. So steigert sich die Qualität der Zellen und die Kosten sinken.

Photovoltaik - Unterschiedliche Solarzellentypen auf einer Linie fertigen

Forschungsbericht zum Projekt

Abschlussbericht TIB Hannover

Bei EnArgus, dem zentralen Informationssystem zur Energieforschungsförderung, befindet sich unter anderem eine Datenbank mit sämtlichen Energieforschungsprojekten – darunter auch dieses Projekt.