Geothermie
Wärme aus dem Untergrund für Hessen
Wärme aus dem tiefen und mitteltiefen Untergrund ist als umweltfreundliche Energiequelle eine wesentliche Stütze der Wärmewende, die bereits von vielen Akteuren genutzt wird, um Energie zu erzeugen. Bisher liegen für das Bundesland Hessen nur Angaben zu den hydrothermalen Potenzialen vor. Jedoch fehlen flächendeckende Daten über die petrothermalen oder mitteltiefen Potenziale zur Stromerzeugung, Wärmenutzung und –speicherung für künftig geothermisch versorgte Projekte. Das Verbundprojekt Hessen 3D II soll diese Wissenslücke schließen. Dazu verbessert die TU Darmstadt gemeinsam mit dem GeoForschungsZentrum Potsdam geologisch-geothermische Modelle, um möglichst das gesamte Bundesland abzudecken.
Projektkontext
In Deutschland entfallen zwar circa 95 Prozent des Potenzials zur geothermischen Stromerzeugung auf das kristalline Grundgebirge. Allerdings erfolgt die Stromerzeugung bisher ausschließlich aus hydrothermalen Reservoiren. Zum einen hat die technische Erschließung der petrothermalen Potenziale noch nicht die Marktreife erreicht und zum anderen sind die Kenntnisse zum Aufbau und zu den Eigenschaften des kristallinen Grundgebirges bisher unzureichend.
Für Deutschland räumen Fachleute den petrothermalen Systemen mittlerweile die größten Chancen beim Ausbau der geothermischen Stromversorgung ein. Heißes Gestein ist überall im Untergrund vorhanden. Neben Windenergie, Wasserkraft, Biomasse sowie thermischer Solarenergie und Photovoltaik ist die Geothermie einer der großen Hoffnungsträger für die künftige Energieversorgung, da sie grundlastfähig ist. Beachtlich ist das Potenzial zur Wärmespeicherung bei den petrothermalen Systemen, beispielsweise die Kombination von Solarthermie und Geothermie. Neben der Stromerzeugung liegt eines der Hauptargumente für die Tiefe Geothermie in der Wärmeversorgung.
Forschungsfokus
Ein wichtiges Ziel ist, das Fündigkeitsrisiko für geothermische Bohrungen in Hessen, aufbauend auf den Ergebnissen des Projektes Hessen 3D, abzuschätzen und zu verbessern und die Versicherung des Fündigkeitsisikos zu ermöglichen. Für Hessen gibt es im Gegensatz zu den hydrothermalen Potenzialen bisher noch keine flächendeckenden Angaben über die petrothermalen oder mitteltiefen geothermischen Potenziale. Daher starteten die Forscherteams der TU Darmstadt und des GFZ Potsdam Anfang 2016 das Verbundvorhaben Hessen 3D II.
Die Projektteams beabsichtigen Datenbanken zu petrophysikalischen Gesteins-, Thermalfluid- und Reservoir-Eigenschaften zu erweitern und verbesserte geothermische Untergrundmodelle zu erstellen. Dabei stehen die Prognosen der petrothermalen Potenziale zur geothermischen Stromerzeugung und Wärmegewinnung und die Potenziale zur saisonalen Wärmespeicherung im Vordergrund.
Die Einflüsse der im Untergrund variierenden Gesteinseigenschaften und der konkurrierenden Wärmetransportmechanismen auf die Temperaturverteilung sind ebenfalls von Interesse und sollen charakterisiert werden. Für ganz Hessen erstellen die Projektteams Temperaturmodelle.
Beabsichtigt ist, diese thermischen Modelle in die bereits erstellten 3D Untergrundmodelle zu integrieren und um gemessene petrophysikalische Kennwerte zu ergänzen. Abschließend planen sie, die geothermische Potenzialverteilung für ganz Hessen zu berechnen und diese, mithilfe des für Frankfurt am Main existierenden virtuellen 3D Stadtmodells beispielhaft auch lokal abrufbar, anzubieten. So können die Erkenntnisse für die Planung geothermischer Bohrungen direkt genutzt werden.
Innovation
Die Bohrkosten machen einen erheblichen Anteil der gesamten Kosten eines geothermischen Vorhabens aus. Lassen sich diese senken, kann die geothermische Stromerzeugung und Wärmegewinnung deutlich wirtschaftlicher werden. Durch eine verbesserte Kenntnis des Untergrunds lassen sich Bohrungen zielgerichtet abteufen
Die einzelnen petrographischen Einheiten des Grundgebirges sowie geothermisch nutzbare Reservoirhorizonte im Deckgebirge sollen detailliert modelliert und geothermisch parametrisiert werden. Dies ermöglicht numerische Wärmetransportsimulationen. Dieser Ansatz bietet eine gegenüber dem Vorgängerprojekt Hessen 3D deutlich verbesserte Qualität der Untergrundtemperaturprognose.
Daraus zu entwickelnde Potenzialprognosen für hydrothermale und petrothermale Anlagen zur Stromerzeugung sowie für offene und geschlossene Systeme zur Direktwärmegewinnung oder Speicherung werden technische und wirtschaftliche Randbedingungen berücksichtigen. Über die Kenntnis der statistischen Kennwerte der Gesteins-, Thermalfluid- und Reservoir-Eigenschaften können Eintrittswahrscheinlichkeiten der getroffenen Prognosen quantifiziert und direkt zur mathematischen Angabe des reservoir- und nutzungsartbezogenen Fündigkeitsrisikos herangezogenen werden. Eine solche stochastische Betrachtung birgt die Möglichkeit, für zukünftige Projekte wieder eine Versicherung des Fündigkeitsrisikos zu etablieren.
Ergebnisse
Durch die Kompilierung und Neuinterpretation gravimetrischer Daten und die Nutzung dieser für gravimetrische Vorwärtsmodellierungen, konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Prognosemodelle zur Verbreitung verschiedener Gesteinsarten des variszischen Grundgebirges in Hessen deutlich verbessern. Die verfeinerten 3D-Modelle erreichen lokal einen deutlich höheren Detailgrad als alle vorher verfügbaren Modelle. Somit liegt eine ideale Grundlage für die abschließende Ausweisung der petrothermalen Potenziale Hessens vor.
Um die mitteltiefen Potenziale zur Wärmenutzung und Speicherung zu erfassen, bestimmten die Projektteams an mehr als 200 Bohrkernproben von alten Explorationsbohrungen der Kohlenwasserstoffindustrie im nördlichen Oberrheingraben sowie an mehr als 250 Bohrkernen des Buntsandsteins in Nordosthessen die relevanten petrophysikalischen (Dichte, Porosität, Permeabilität) und geothermischen Kennwerte (Wärmeleitfähigkeit, Temperaturleitfähigkeit, Wärmekapazität) aller potenziellen Reservoireinheiten und werteten diese aus.
In einem weiteren Teilprojekt, welches Temperaturmodellierungen und Potenzialprognosen zum Thema hat, setzten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler numerische Modelle der Untergrundtemperaturverteilung auf. Diese erfassen sowohl die konduktiven als auch die konvektiven und die Kopplung beider Wärmetransportprozesse. Diese Modelle haben wesentlich dazu beigetragen, die maßgeblichen Wärmetransportprozesse im Untergrund von Hessen besser zu verstehen. Eine deutlich genauere Temperaturprognose soll abschließend durch weitere Modelle erreicht werden, die auf den deutlich verfeinerten 3D Modellen und Gesteinskennwerten aus den oben genannten Untersuchungen resultieren.
Durch intensive Zusammenarbeit mit dem assoziierten Kooperationspartner dem Hessischen Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) und einer neu geschaffenen Kooperation mit dem Bundesamt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) trugen die Projektpartner mehr als 1000 Datensätze zur Hydrochemie potenzieller Reservoirfluide Hessens zusammen und erfassten diese in einer einheitlichen Datenbankstruktur. Dies stellt die Grundlage für die Beurteilung der Hydrochemie dar, die bei der geothermischen Erschließung und Planung der Anlagentechnik stets zu berücksichtigen ist, um Scaling oder Korrosion im Betrieb zu vermeiden.
Praxistransfer
Geplant ist, die Ergebnisse mit dem bestehenden 3D-Stadtmodell der Stadt Frankfurt am Main und dem dort dokumentierten Wärmebedarf zu verknüpfen. Erstmals besteht dann für Fachplaner, lokale oder regionale Energieversorger, Genehmigungsbehörden, Wissenschaftler und die interessierte Öffentlichkeit die Möglichkeit, energierelevante Untergrundinformationen für die größte Stadt Hessens interaktiv abzufragen. Diese digitale Kopplung der unterirdischen Potenziale mit der überirdischen Infrastruktur kann zu einer vereinfachten Entscheidungsfindung beitragen. Zusätzlich sollen die Ergebnisse in das Geothermische Informationssystem von Deutschland (GeotIS) integriert werden.
Letzte Aktualisierung: 28.06.2019